David Moises und Klaus Schuster
David Moises und Klaus Schuster bestreiten in der Villa Weiss ihre erste Zusammenschau, die zugleich Ausstellungsdialog und ortsspezifische Intervention ist. Das Konzept derartiger künstlerischer Gegenüberstellungen beruht auf der Idee, über die Dialektik des Unterschieds neue Sichtweisen auf das Werk des jeweilig anderen zu ermöglichen. Dennoch gilt der Blick, bei aller augenscheinlicher Verschiedenheit der künstlerischen Positionen, den korrespondierenden Elementen, gemeinsamen Bezugsfeldern und analogen Werkprozessen. Gemein ist beiden Künstlern die Verwendung von vorgefundenem (Bild)Material, das sie adaptieren, kombinieren und zu etwas völlig Neuem umformen. Außerdem lässt sich ein Hang zum Surrealen und ein ähnlicher Blick für die Potentialität, die in unscheinbaren Dingen und Formen steckt, erkennen.
Klaus Schuster hat das minimalistische, ganz auf Farbverläufen beruhende Plakat zur gemeinsamen Ausstellung gestaltet. Dieses Plakat ist jedoch auf beiden Seiten bedruckt und zeigt auf seiner Rückseite ein Motiv, dass der Künstler bei seinem letzten Besuch in der alten Post von Ligist gefunden hat. Der Ausschnitt eines Wandteppichs, in dessen Zentrum eine Frau ein Vogelnest mit frisch geschlüpften Küken in ihrem Schoß hält, auf das der neben ihr stehende Mann mit seiner Hand zärtlich verweist, dient Schuster als Tapete für die Hauptwand im ersten Raum der alten Post. In Anlehnung an den Ausstellungsort mag es sich dabei vielleicht um zukünftige Brieftauben handeln, doch durch die vielfältigen Kombination der Plakate entsteht ohnedies eine ornamentale Struktur, bei der das einzelne Motiv hinter das Rapportmusters zurücktritt. Auf diese Bildtapete hat Schuster seine neuen Ölbilder installiert.
Erschienen seine bekannten CAD animierten „Locations“ wie „fremdartige Standbilder aus dieser massenmedialen Bildmaschine des Imaginären“,1 die ihre Konstruiertheit und Künstlichkeit nie verbargen, so waren seine „Zeichnungen“ eigentlich Übermalungen von Fotos, die durch die reale massenmedialen Bildmaschine produziert worden sind und deren Inszenierungen er deformierte und verzerrte. Porträts aus Zeitschriften, Büchern und subkulturellen Magazinen wurden mit fiktiven Prothesen versehen, in Zustände rätselhafter Transformationen überführt und bis zur Unkenntlichkeit fragmentiert, wobei die Übergänge zwischen der Fotografie und der Malerei fließend gestaltet wurden. Die Körpererweiterungen, Penetrationen und hermetischen Emanationen scheinen eine Entgrenzung des Körpers zu assoziieren und eine schicksalhafte Fremdbestimmung dieser nahezulegen. Basierend auf diesen Fotoübermalungen hat Klaus Schuster vor einem Jahr begonnen ganz klassisch Bilder in Öl auf Leinwand zu malen. Klassisch sind allerdings nur die Technik und die malerische Inszenierung der Dargestellten – in der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich wieder um Porträts – die Motive selbst scheinen eine Fortsetzung seiner Auseinandersetzung mit vorgefundenem Bildmaterial zu sein. Friedrich Nietzsche hat einmal von der Kraft gesprochen, „aus sich heraus eigenartig zu wachsen, Vergangenes und Fremdes umzubilden und einzuverleiben, Wunden auszuheilen, Verlorenes zu ersetzen, zerbrochen Formen aus sich nachzuformen“.2 Die Figuren von Klaus Schuster scheinen von dieser Nietzscheanischen Kraft beseelt.
Diese unterschiedlichen Gesten und Posen, die er zitiert, stehen in der Tradition von Aby Warburg oder Giorgio Agamben, die die Geste als eine Art verkörpertes Archiv auffassen. Klaus Schusters eklektische Bilder umfassen sowohl stilistisch wie auch konzeptionell ein großes Terrain an Einflüssen und Referenzen, die er nicht-hierarchisch in seinen Bilder sampelt und zu unheimlich eindrucksvollen Kulturcollagen zusammenführt.
David Moises verbindet die Errungenschaften der kunsthistorischen Entwicklung – vom Ready-Made über die kinetische Kunst zur relationalen Kunst – mit dem Persönlichkeitsbild des Ingenieurs und des Bastlers. Der Ingenieur verändert mit seinen Erfindungen und Konstruktionen die Gesellschaft wohingegen der Bastler aus dem Material, das er findet oder gerade zur Verfügung hat, Protoypen für den persönlichen Hausgebrauch zusammenbaut.
David Moises hat mit seinen Arbeiten auf die jeweiligen Ausstellungsorte reagiert und im alten Postamt seine „Fahrzeuge“ untergebracht. In einer fast schon evolutionären Auflistung der Fortbewegungsmittel des Postboten stehen da ein Pferd („Hobbyhorse“), ein Fahrrad („Bonanza“) und ein Autoanhänger („Unabhängiger Anhänger“).Ein wesentliches Charakteristikum der aufgezählten Arbeiten und von Moises Schaffen im Allgemeinen ist die Verschiebung der gewohnten Parameter von Funktion und Form. Das „Hobbyhorse“ ist ein Steckenpferd, das aus einem umgebauten Rasentrimmer entwickelt wurde, bei dem die Klingen durch Reifen ersetzt worden sind und das sich nun mit Rollschuhen „reiten“ lässt. Der Kopf des „Pferdes“ ist im Übrigen der Motor des Geräts, der exakt die Leistung einer Pferdestärke erbringt. „Bonanza“ ist die zufällige Begegnung einer Motorsäge mit einem Jugendfahrrad auf einem Seziertisch aus der ein Motorrad hervorgegangen ist. Und der „Unabhängige Anhänger“ ist die glückliche Vermählung eines Autoanhängers mit einem Außenboardmotor. Allen Arbeiten von Moises scheint eine Anima innezuwohnen, die der Künstler bereits in den Ausgangsgeräten in nuce wahrzunehmen scheint, als wäre das Bonanzarad immer schon gerne eine Motorrad gewesen und als wollte der Anhänger nicht immer nur Beiwagerl sein. Der Künstler als Erfüllungsgehilfe, der im Stile von Michelangelo das, was immer schon da war, nur aus der Materie befreien müsse.
Auch in der Villa Weiss hat Moises seine humorvollen Arbeiten ortsspezifisch inszeniert und einen Chandelier aus 100 Feuerzeugen installiert und einen semirustikalen Servierwagen auf einen ferngesteuerten Buggy montiert. Bei allen Arbeiten ist der Betrachter nicht mehr passiver Rezipient, sondern aktiver Mitwirkender am Werk, nicht nur, weil er es vielleicht durch seine Imagination komplettiert, sondern weil er dieses in realiter in Gang setzt und benutzt. Moises spezifische Ästhetik des Zusammengebastelten spricht vom Künstler als bricoleur und bringt eine humorvoll-ironische Relativierung des Künstlers als Konstrukteur mit sich, als welchen ihn die Avantgarde gefeiert hatte. Es geht in seinen Arbeiten um die Zweckentfremdung unserer Alltagsgeräte, um das Kalkül der Industrialisierung und die Kreativität des Individuums, um die den Maschinen eingeschriebene Kraft der Transformation, um die Wiederverwertung des Ausgesonderten, um die Subversion der Eigenkonstruktionen, um den Hang zum Absurden und um die Wirkmacht der Poesie in Zeiten der Normierung aller Lebensbereiche.
Die Austellung von David Moises und Klaus Schuster verhandelt Methoden der Appropriation und der Repetition, und obwohl dies bekannte Strategien der Postmoderne sind, scheinen die beiden Künstler doch eine Art Neubelebung und Transformation dieser Prozesse voranzutreiben. Natürlich gibt es in der zeitgenössischen Kunst eine bestimmte Tendenz, kulturelles Material wiederzubenutzen und umzuformen, da es auch kaum mehr möglich scheint, etwas genuin Neues hervorzubringen. Sören Kierkegaard schreibt, dass Wiederholung ein entscheidender Ausdruck für das ist, was bei den Griechen Erinnerung gewesen ist. „Gleich wie diese also gelehrt haben, daß alles Erkennen ein sich Erinnern sei, ebenso wird die neuere Philosophie lehren, daß das ganze Leben eine Wiederholung ist.“3 Die Arbeiten von David Moises und Klaus Schuster müssen dementsprechend zwangsweise Wiederholungen sein sie nutzen daher auch als Ausgangsmaterial Zeugnisse der Geschichte des Individuums und der Gesellschaft. Doch ganz im Sinne Kierkegaards sind ihre Wiederholungen Ausdruck von Reflexion und Erkenntnis und ihre Werke Zeugnisse eines Sich-nach-Vorne-Erinnerns. „Die Dialektik der Wiederholung ist leicht, denn was sich wiederholt, ist gewesen, sonst könnte es sich nicht wiederholen; aber eben dies, daß es gewesen ist, macht die Wiederholung zu dem Neuen.“4 Die Wiederholung überträgt Vergangenes in die Gegenwart, reflektiert es, modifiziert es, reaktiviert es, aber „es gehört Mut dazu, die Wiederholung zu wollen.“5 Und nochmals mit Kierkegaard schließend: „Wenn man die Kategorie der Erinnerung oder der Wiederholung nicht besitzt, so löst das ganze Leben sich auf in leeren und inhaltlosen Lärm.“6
Roman Grabner, 2014
1 Reinhard Braun, Klaus Schuster. Zweideutige Bilder. In: Camera Austria 83 (2003), S. 7-18, 7.
2 Friedrich Nietzsche, Werke in 3 Bänden. Hg. V. Karl Schlechta. München 1966, I, S. 213.
3 Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, 1843. Hg. v. Hans Rochol. Hamburg 2000, S. 3.
4 Ebda, S. 22.
5 Ebda, S. 4.
6 Ebda, S. 22.